Sommerloch – Zeit ein paar Trivialitäten aufzuarbeiten – dazu zählt sicherlich auch das aktuelle Buch „Digitale Demenz“ von Manfred Spitzer.
Schadensminimierung
Ich muss mich übrigens gleich im Vorfeld entschuldigen – ich bin 45 und blicke auf einen nunmehr 30jährigen Umgang mit IT zurück. Zusätzlich beschäftige ich mich seit Jahren intensiv mit sämtlichen Belangen moderner Online-Kommunikationstechnologien. Der Schaden muss laut Spitzer bereits beträchtlich sein.
Was mich etwas schützen mag ist der Vorteil, dass ich eben erst mit 15 damit in Berührung gekommen bin und sich meine Synapsen bis zu diesem Zeitpunkt wohl noch annähernd normal entwickelt haben. Ich versuche daher mit meinen restlichen Gehirnzellen meinen Unmut zu vermitteln. Ich mache das auch deshalb, weil meiner Ansicht nach die Reaktion zum Buch der „Digitalen Demenz“ mit wenigen guten Ausnahmen (siehe dazu: Spitzer versteht das Netzlernen nicht) aus Sicht eines Pädagogen zu wenig differenziert ist.
Polarisierung und Verunsicherung
Was für mich ganz eindeutig vorliegt, ist die zunehmende Polarisierung zum Thema. Ich bin seit 10 Jahren intensiv mit der Ausbildung von Lehrer-/innen (primär in der Sekundarstufe II, berufsbildende mittlere u. höhere Schulen in Österreich) beschäftigt und habe in meinen Seminaren schon viel erlebt. Kurzgefasst: was übrigbleibt ist die Unterschiedlichkeit der Zugänge meiner Zielgruppe.
Ich gehe davon aus, dass bei IT-relevanten Seminaren eher jene Lehrer-/innen dabei sind, die sich nicht grundsätzlich der Gegenwart und den damit verbundenen Kommunikationsmöglichkeiten verwehren. Somit erkennen diese auch, dass sich die Frage gar nicht stellt, ob, sondern wie man bestmöglich Schüler-/innen in diesem Kontext begleiten kann. Trotzdem existiert eine große Unsicherheit bei Vielen.
Als Beispiel sei hier ein Social-Media-Seminar dargestellt das ich unlängst abgehalten habe: rund zwei Drittel der Seminarteilnehmer wollen wissen wie Facebook funktioniert, aber nur mit anonymen Accounts damit sie erfahren was die Schüler/-innen in diesen Plattformen so machen – aber mit der absoluten Sorge, gleich Teil der Datenkrake zu werden und über Vermeidungsstrategien nachzudenken.
Im selben Seminar sitzen aber auch Poweruser, die nach Möglichkeiten suchen, digitale Instrumente didaktisch so einzusetzen, damit der Unterricht zeitgemäß wird. Es sollen Anreize geschaffen, Lernprozesse dokumentiert und reflektive Elemente im Unterricht nutzbringend eingesetzt werden.Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt damit umgehen soll, dieser meiner ursprünglichen Meinung nach innovativen Zielgruppe mitzuteilen, dass sie eine große Mitverantwortung bei der Massenvernichtung von Gehirnzellen ihrer Schüler-/nnen tragen.
Ganz egal, wie man zur Thematik steht, eines ist Spitzers Buch sicherlich: Unterfutter für jene, die nach einfachen Möglichkeiten suchen, sich durch „wissenschaftlich“ bestätigte Studien der Verantwortung zu entziehen. Wie viel einfacher ist es, etwas im Vorfeld zu dämonisieren als sich damit auseinander zu setzen? Ich hab noch den Satz im Ohr als eine meiner ersten Seminarteilnehmerin zu mir sagte: ich verstehe das nicht, und wenn ich das nicht verstehe, dann verstehen das meine Schüler-/innen schon gar nicht – leider musste ich ihr damals schon mitteilen, dass sie damit falsch lag.
Homo Zappiens
Eines der Lieblingsbeispiele von Spitzer ist der Vergleich zwischen Kindern die nie mit digitalen Medien zu tun hatten und im Vergleich dazu jenen, die mehrere Wochenstunden vor dem Fernsehgerät verbracht hatten mit folgendem Ergebnis: jene, die keine Medien nutzten, schmückten beim Bildermalen diese wesentlich mehr aus, als die anderen, die z.B. Strichmännchen statt normale Körper zeichneten. Sein Fazit: Beweis für Verblödung.
Mein Fazit: effizienter Umgang mit Information, der vom Homo Zappiens erlernt wurde.
Unerwähnt bleibt bei Spitzers Präsentationen auch das angelegt Forschungsdesign, so ist mir nicht ganz klar wie die Auswahl der Probanden stattgefunden hat. Verantwortungsvolle Eltern, die sich mit gutem Grund gegen die Nutzung von Medien für ihre Kinder entscheiden, sind auch in der Regel jene, die sich in Summe aktiver mit der Kindererziehung auseinandersetzen. Als Ergebnissen solcher Studien abzuleiten, dass die Nutzung von digitalen Medien zur Zwangsverblödung führt, zaubert, mein Unmut beiseite, maximal ein Lächeln auf meine Lippen.
Spitzers Zielpublikum
Ich habe Spitzer unlängst bei einem Vortrag beim Kongress des Archivs der Zukunft live erlebt. Er ist begnadeter Rhetoriker und Populist mit gutem Unterhaltungswert. Das Zielpublikum spendete nach dem Vortrag viel Beifall. Es sei darauf hingewiesen, dass, trotz dem Faktum, dass es sich beim Kongress um viele sehr engagierte Lehrer/-nnen aus dem reformpädagogischen Bereich gehandelt hat, meiner Meinung nach ein überwiegender Großteil neuen Technologien sehr reserviert gegenübergestanden sind – Spitzer sucht sich sein Publikum aus, genauso wie seine Befürworter ihn aussuchen.
Kompetenzvielfalt durch eLearning
Ein wahrer Aufschrei ging in den letzten Wochen durch die eLearning-Community. Besonders in Österreich hat sich hier im letzten Jahrzehnt viel getan – sicherlich mehr als in Deutschland. Das mag daran liegen, dass zentralisiert getroffene Maßnahmen bei uns mehr Impact haben.
Engagierte Pädagog/-innen tauschen sich laufend zum Thema eLearning aus. Sie versuchen Schüler/-innen für die heutige Welt fit zu bekommen – durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Thematik IT, Internet, soziale Netzwerke etc. Diese Themen werden zum Teil in sogenannten Arbeitsaufträgen im Unterricht erarbeitet. Dabei werden verschiedene Aktivitäten in unterschiedlichen Sozialphasen von Schüler/-innen gemeinsam erarbeitet. Die geschaffenen Lernprodukte werden gemeinsam reflektiert.
Aufgabenstellungen lauten dann nicht mehr: suche einen Begriff aus dem Internet und kopiere ihn in ein Word-Dokument. Sie sind sehr viel differenzierter – siehe dazu cooltrainers.at (Beispiel: gamelabs-Arbeitsauftrag). Verschiedenste Kompetenzen werden bei Arbeitsaufträgen adressiert: soziale Kompetenzen, personale Kompetenzen, mediale, fachliche und methodische Kompetenzen.
Zumindest ein Vorteil kristallisiert sich dabei heraus: die durch digitale Medien dement gewordenen Schüler/-innen können sich zukünftig zumindest gegenseitig helfen.